Der Disibodenberg
Giebel des Refektoriums, Baubeginn 1240 durch Benediktiner.
1259 übernehmen Zisterzienser den Keller-Rohbau und vollenden das Gebäude.
links:
Klosterruine Disibodenberg.
Nach einer Zeichnung von C. Schlikum,
gestochen von Winkles um 1840.
Wenngleich der Besucher des Disibodenbergs heute nur noch Ruinen als Zeugen
einer großen und geistlich bedeutenden Vergangenheit vorfindet, so wird ihn doch die
geradezu weihevolle Atmosphäre dieser Stätte beeindrucken und in ihren Bann ziehen.
Hier nun hat Hildegard den größten Teil ihres Lebens verbracht.
Der Disibodenberg am Zusammenfluß von Nahe und Glan war spätestens seit dem 7.
Jh. ein Mittelpunkt christlichen Lebens, vermutlich aber schon ein Heiligtum in
vorchristlicher Zeit. Die auf dem Berg errichtete Taufkirche wurde zum Ausgangspunkt
der Missionierung des Naheraums. Missionare aus bereits christlichen Gebieten kamen
in dieses Land, darunter auch Disibod, der auf dem später nach ihm benannten Berg
eine Zelle für sich errichtete, - der Tradition nach, auf die auch Hildegard sich in ihrer
Disibod-Vita bezieht, sogar ein Kloster. Schon vor dem 9. Jh. ist seine Verehrung als
Heiliger bezeugt. Um die Jahrtausendwende gründete Erzbischof Willigis von Mainz
neben der Taufkirche auf dem Disibodenberg ein Kanonikerstift für zwölf Geistliche, die
die seelsorgliche Betreuung der umliegenden Siedlungen übernahmen.
1108 berief der Mainzer Erzbischof Ruthard dann Benediktiner von der Abtei St. Jakob
in Mainz auf den Disibodenberg, und noch in diesem Jahr wurde mit dem Bau eines
neuen Klosters begonnen, dessen imposante Ausmaße die bis heute erhaltenen
Ruinen immer noch erahnen lassen. Eben diese Bautätigkeit hat dann die junge
Hildegard mit eigenen Augen verfolgen können, vielleicht auch als Anregung für den
späteren Bau ihres Klosters Rupertsberg genommen.
Den Gepflogenheiten der Zeit entsprechend war dem Mönchskloster auf dem
Disibodenberg auch eine Frauenklause angeschlossen. Über deren genaue Lage im
Klosterbereich können bis heute letztlich nur Vermutungen angestellt werden, da die
Ausgrabungen noch nicht abgeschlossen sind. Hier zog Jutta von Sponheim im Alter
von 20 Jahren als Klausnerin ein. Die junge Hildegard mit noch zwei weiteren
Gefährtinnen wurden ihr zur Erziehung anvertraut. Eine bislang unbekannte
Lebensbeschreibung der später als Selige verehrten Jutta läßt auch Rückschlüsse auf
die Spiritualität zu, durch die Hildegard in ihrer Jugend geprägt worden war. Neben
dieser geistlichen Prägung muß Hildegard aber ebenso eine umfassende und
vielseitige geistige Bildung erhalten haben. Benediktinerklöster der damaligen Zeit
waren Hochburgen der Kunst und Wissenschaft, und so, wie Hildegard später den
Mönch Volmar als gelehrten Berater zur Seite hatte, wird sie auch von frühauf durch
die Disibodenberger Mönche in das vielschichtige Geistesgut benediktinischer
Tradition eingeführt worden sein. Ihr Lebenswerk gibt Zeugnis von ihrer universal
ausgerichteten Bildung, die im Hinblick auf die Theologie, die Natur- und Heilkunde, in
der Darstellung von Kosmos, Welt und Mensch oder in ihren Liedkompositionen und
zahlreichen Briefen zum Ausdruck kommt.
In den Jahren zwischen 1112 und 1115 hat Hildegard sich endgültig für das
klösterliche Leben entschieden und sich durch die benediktinischen Gelübde
gebunden. In ihrer Lebensbeschreibung wird Bischof Otto von Bamberg in diesem
Zusammenhang erwähnt. Er nahm in der Zeit, da Erzbischof Adalbert I. von Mainz in
kaiserliche Gefangenschaft geraten war, die Belange des Bistums wahr. 1136 starb
Jutta von Sponheim, die Meisterin der Frauenklause auf dem Disibodenberg.
"Einmütig", so ist uns überliefert, wurde Hildegard von dem inzwischen auf zehn
Frauen angewachsenen Konvent zur Nachfolgerin gewählt.
Das Jahr 1141 brachte in das Leben der neuen Meisterin vom Disibodenberg einen
tiefgreifenden Einschnitt. Als sie "42 Jahre und sieben Monate alt war", wie sie selbst
genau vermerkt, erlebte sie in vollem Umfang den Durchbruch dessen, was sie ihre
"Schau" nannte. Schon von früher Kindheit an war Hildegard mit einer
außergewöhnlichen Intuition begabt gewesen. Nun wurde sie gleichsam vom Feuer
des göttlichen Geistes ergriffen, wie eine Miniatur ihres ersten Werkes "Scivias" es
darzustellen versucht, und in diesem Licht erblickte sie das "Lebendige Licht". Nicht mit
äußeren Augen und äußeren Ohren, sondern allein in ihrem Innern sah und hörte sie, -
wachen Geistes, mit offenen leiblichen Augen und außerhalb jeglicher Ekstase. Diese
Art Schau stellt sie in eine Reihe mit den alttestamentlichen Propheten, und wie sie
erhielt sie den Auftrag: "Schreibe, was du siehst und hörst."
Nur mit Widerstreben folgte Hildegard der Weisung und begann 1141 auf dem
Disibodenberg mit der Niederschrift ihres ersten theologisch-visionären Werkes
"Scivias", das sie 1151 beendete. In den Zweifeln, die sie während ihrer Arbeit immer
wieder befielen, wandte sie sich ratsuchend an Abt Bernhard von Clairvaux, der
anfänglich mit Zurückhaltung reagierte. Schließlich aber setzte er sich auf der Synode
zu Trier 1147/48 in Anwesenheit von Papst Eugen III. so für Hildegards
Visionsschriften ein, daß der, nach Überprüfung der Texte, sie in eigener Person den
versammelten Kardinälen vorlas. Damit bestätigte er die "Seherin", der später der Titel
"Prophetissa Teutonica" zuerkannt werden sollte, und ermutigte sie zu weiteren
Schriften. Vom "Glanz" dieser päpstlichen Anerkennung mag damals auch ein wenig
auf den Disibodenberger Mönchskonvent gefallen sein.
In eben dieser Zeit bahnte sich aber dann auch die Abtrennung des Frauenkonvents
vom Mönchskloster an. 1147 faßte Hildegard - auch ein Beweis ihrer inneren
Eigenständigkeit - mit ihren Schwestern den Entschluß, allen Schwierigkeiten zum
Trotz den Disibodenberg zu verlassen. Dazu mögen verschiedene Gründe sie bewegt
haben, der schwerwiegendste war wohl der nicht mehr ausreichende Lebensraum für
die aus 18 Nonnen bestehende Frauengemeinschaft. In einer Schau wurde Hildegard
als Platz für das neuzuerbauende Kloster der Ort zugewiesen, wo am Zusammenfluß
von Nahe und Rhein einstmals der hl. Rupertus als Einsiedler gelebt hatte. Unter den
Gönnern, die den Bau des Klosters Rupertsberg ermöglichten, wird im Rupertsberger
Güterverzeichnis an erster Stelle der Pfalzgraf Hermann von Stahleck erwähnt.
Zwischen 1147 und 1151 fand die Übersiedlung des Frauenkonventes statt. Für 1152
ist die Weihe der Kirche und des Klosters auf dem Rupertsberg urkundlich
bezeugt.
links:
Giebel des Hospitals, Gästehaus, erbaut nach 1400.
rechts:
Schlußstein aus der Marienkapelle, Christus ohne Dornenkrone.
Zu sehen im Museum des Weingutes Kloster Disibodenberg
neben anderen Schlußsteinen und Steinmetzarbeiten.
Bei Hildegards Weggang vom Disibodenberg dürften sich bereits erste Anzeichen der
Dekadenz im Benediktinerkonvent angedeutet haben. Sie führten im 13. Jh. zum
Niedergang, so daß der Mainzer Erzbischof das Kloster mitsamt seinem Besitz den
Zisterziensern übergab, die sich etwa 300 Jahre lang halten konnten. 1559 war dann
der endgültige Untergang besiegelt, der sich trotz mancher Versuche der
Wiederbelebung nicht mehr rückgängig machen ließ. Von der Mitte des 18. Jh. an
begann die Zerstörung der Gebäude, die fortan als Steinbruch benutzt wurden, bis das
Gelände 1804 in private Hände überging.
Die letzte private Besitzerin, Ehrengard Freifrau von Racknitz, geb. Gräfin von
Hohenthal, überführte am 21. Mai 1989 das ehemalige Klostergelände in eine Stiftung.
Die Disibodenberger SCIVIAS-Stiftung bemüht sich um weitere
Forschungsmaßnahmen und den Erhalt bzw. die Sicherung der Ruinen als Zeugen
einer über 1000jährigen christlichen Kulturtradition.
Sr. Teresa Tromberend OSB
Wirkungsstätten