Mensch und Heilkunde bei Hildegard von Bingen
(Teil 1)
zu Teil 2: Geschlecht und Charakter
1998 feiern wir die neunhundertste Wiederkehr des Geburtstags einer Frau des Mittelalters, die in den
letzten Jahren weit über den engeren Kreis der Theologen und Mediävisten hinaus nicht nur in
Deutschland, sondern in der ganzen westlichen Welt bei alt und jung, bei Menschen unterschiedlichster
Herkunft, bekanntgeworden ist wie wohl keine andere Frau jener Jahrhunderte. Hildegard wird, so
muß man sagen, in Anspruch genommen, dient als Zeugin für viele, kaum vereinbar erscheinende
Aussagen. Vielseitig war sie, das steht immerhin fest, wie nur ganz wenige. Doch darf man in
Hildegard von Bingen auch (wie es der Titel eines 1927 erschienenen Buches suggeriert) die erste
deutsche Ärztin und Naturforscherin sehen?
Ehe man auf diese und ähnliche, damit zusammenhängende Fragen eine Antwort versuchen kann, ist es
angebracht, sich einige wichtige Stationen ihres Lebensweges ins Gedächtnis zu rufen.
Hildegards Leben
Als 10. Kind des Edelfreien Hildebertus und seiner Gattin Mechthild wird Hildegard 1098 in
Bermersheim, wenige Kilometer nördlich von Alzey in Rheinhessen, geboren. Im Alter von acht oder
neun Jahren kommt sie in die Obhut einer nur wenig älteren entfernten Verwandten, der 1090
geborenen Jutta von Spanheim (heute Sponheim), die sich mit anderen Frauen bei dem
benediktinischen Männerkloster auf dem Disibodenberg, am Zusammenfluß von Glan und Nahe, 1112
als Klausnerin niederläßt. Nach Juttas Tod (1136) übernimmt Hildegard die Leitung über die
inzwischen angewachsene Gemeinschaft frommer Frauen auf dem Disibodenberg. Ein eigenes Kloster
auf dem Rupertsberg bei Bingen, nördlich der Mündung der Nahe in den Rhein, begründet sie 1147;
die Lösung vom Kloster auf dem Disibodenberg war schwierig, da sich der Abt dagegen stellte, doch
Hildegard setzte sich hier wie auch bei zahlreichen späteren Gelegenheiten gegen äußere Widerstände
durch.
1147, im Alter von rund 50 Jahren, arbeitet sie auch an ihrem ersten großen Visionenbuch, dem
Scivias ("Wisse die Wege"), das sie 1141 auf göttlichen Befehl begonnen hatte und 1151, zehn
Jahre nach dem Beginn der Niederschrift, abschließen wird. Im selben Jahr 1147 korrespondiert sie mit
Bernhard von Clairvaux, dem weithin berühmten, nur wenig älteren (* 1091) Kirchenlehrer und
Begründer der mittelalterlichen Mystik; der Erzbischof von Mainz erhält bereits fertiggestellte Teile des
Scivias übersandt und leitet sie an Papst Eugenius den III. weiter, als der sich zu einer Synode
in Trier aufhält. All das läßt erkennen, daß Hildegard damals eine Stellung erlangt hat, die sie von
anderen Nonnen und Äbtissinnen unterscheidet. Vier zwischen 1158/59 und 1170 unternommene
pastoral motivierte Reisen und eine ausgedehnte, erhaltene Korrespondenz mit bedeutenden Gestalten
der Kirche bis hin zum Papst und mit Vertretern der weltlichen Macht bis hin zum Kaiser
unterstreichen dies. (Daß es sich hier vielfach um engere und weitere, auch durch Heirat
dazugekommene Verwandte der aus dem Adel stammenden Hildegard handelt, muß berücksichtigt
werden, damit wir uns kein falsches Bild machen. Inwieweit sie realen Einfluß hatte oder nehmen
wollte, muß dahingestellt bleiben.)
In der Mitte der sechziger Jahre begründet sie ein weiteres Frauenkloster (St. Giselbert) auf der Bingen
gegenüberliegenden Rheinseite, in Eibingen. Als sie am 17. September 1179 stirbt, hinterläßt sie ein
dem Umfang und dem Gewicht nach bedeutendes Werk, das außer den Visionenbüchern - auf das
Scivias folgten ein Liber vitae meritorum und ein Liber divinorum operum
- ihre Kompositionen geistlicher Gesänge, zu denen man auch das Spiel vom Ordo virtutum
stellen kann, die schon erwähnte Korrespondenz, eine Reihe kleinerer christlicher Schriften und solche
zur Medizin und Naturkunde umfaßte, auf die wir noch besonders zurückkommen werden. Von ihrer
Autobiographie haben sich zwölf längere Abschnitte durch wörtliches Zitat in der von ihrem Sekretär
Gottfried begonnenen und 1181 von Theoderich (Theodericus) von Echternach vollendeten
Lebensbeschreibung erhalten.
Die Sprache, derer sich Hildegard bedient, ist - wie könnte es anders sein? - die Sprache der Kirche,
das Lateinische. Wir wissen über Hildegards Bildungsgang fast nichts; aber wie sie schreibt und die
Tatsache, daß sie sich ihr Latein (casus, tempora et genera heißt es in Theoderichs
Vita) von Helfern verbessern, redigieren läßt - was auf jeden Fall für die meiste Zeit ihres
Lebens gilt -, weist darauf hin, daß wir uns nicht vorstellen dürfen, sie habe etwa Unterricht in der
Klosterschule auf dem Disibodenberg erhalten. Wenn es eine solche Ausbildung im dortigen Kloster
damals gab, hat Hildegard davon - ihr Sprachstil zeigt es deutlich - nicht profitiert; ihre
Sprachkenntnisse sind durch den täglichen Umgang mit den liturgischen, biblischen und theologischen
Texten immer weiter gewachsen, an ihnen gleichsam 'geschult'. Was sie von Jutta lernen konnte, war,
so sagt sie selbst, kaum das Alphabet. Die Möglichkeit des Zugangs zum Verständnis der Bibel, der
Kirchenväter und der Philosophen wird ihr, wie sie berichtet, in einer Vision geschenkt. Die Forschung
hat erkannt, daß dieser Vorgang bei Augustinus in den Confessiones in ähnlichen Worten
beschrieben wird, und daß wir bei Hildegards sicher ernst gemeinten Beteuerungen ihrer eigenen
Unwissenheit nicht vergessen dürfen, daß dabei auch ein damals geläufiger Topos zumindest anklingen
mag.
Die Frage der Bildung und der Bildungsquellen, d. h. der zugänglichen Literatur, ist gerade für den
wichtig, der sich mit den naturkundlichen und medizinischen Aussagen Hildegards befaßt. Klöster
waren im Mittelalter nicht nur Burgen des Glaubens, sondern auch Burgen der Wissenschaft, Bewahrer
der Überlieferung des Wissens aus der Antike: Lorsch z. B., Fulda, die Reichenau, Echternach sind uns
als Orte bekannt, wo man medizinische Schriften finden konnte. Vom Kloster auf dem Disibodenberg
wissen wir in dieser Hinsicht nichts, auch darüber hinaus nichts hinsichtlich einer Bibliothek oder eines
Scriptoriums, wo Bücher durch Abschreiben vervielfältigt worden wären, und wie Hildegard selbst
eines auf dem Rupertsberg einrichtet (von dort stammt der berühmte Wiesbadener Riesenkodex). Es
bleibt uns deshalb nichts anderes übrig, als in dieser Frage äußerst vorsichtig zu sein und die
Untersuchung bezüglich möglicher Quellen für jede Stelle einzeln und neu zu führen, da Hildegard
selbst uns keine Hinweise gibt.
Die "Hildegard-Medizin"
Bedenken dieser Art entfallen, wenn man in Hildegard, pointiert formuliert, nur das Werkzeug, die
unwissende Vermittlerin einer göttlichen Botschaft sieht:
"Wunderbar ist Gott in seinen Heiligen und sehr merkwürdig die Welt in ihrem Urteil. Da hat ER vor
achthundert Jahren (um 1155 nach Christus) einem armseligen Geschöpf seine Medizin geoffenbart, für
alle Welt greifbar — und kein einziger Mensch unserer Tage hat bisher diese Tatsache ernsthaft zur
Kenntnis genommen als allein der Verfasser des vorliegenden Buches."
So beginnt die Einführung in das Werk So heilt Gott, eines Buches, das allein in seiner
deutschen Originalfassung mehr als einhundertfünfzigtausendmal verkauft worden ist. Erst seit seinem
Erscheinen im Jahre 1970 gibt es die "Hildegard-Medizin", wie sie von ihren Anhängern und von ihren
Gegnern genannt wird. Die Hildegard-Medizin charakterisiert der Verfasser des Buches im Untertitel
als "neues Naturheilverfahren", 'neu' selbstverständlich im Sinne von 'unbekannt' und
'Naturheilverfahren' im Gegensatz zu einer Medizin, deren Arzneischatz überwiegend synthetische
Pharmaka einsetzt.
Der Prophet der Hildegard-Medizin und Autor von So heilt Gott war der Arzt Dr. med.
Gottfried Hertzka (1913-1997). Seine Hildegard-Praxis in Konstanz wird, seit er sich zur Ruhe setzte,
von dem als Heilpraktiker ausgebildeten Dr. rer. nat. Wighard Strehlow weitergeführt.
Die Autorität dieser Hildegard-Medizin beruht auf der Annahme bzw. Voraussetzung, bei den uns
überkommenen medizinischen Schriften Hildegards handele es sich um göttliche Offenbarung, also
Gottes medizinische Botschaft für die leidende Menschheit (wobei an den christlichen Gott, speziell
den von Katholiken verehrten, gedacht ist). Die zahlreichen beobachteten Heilungen erwiesen diese
Annahme als zutreffend; auch im eher theoretischen Bereich der Physiologie und Pathologie seien
erstaunliche Kenntnisse dargelegt, die unserer heutigen wissenschaftlichen Sicht z. T. entsprächen, z. T.
über sie hinausgingen.
Diesen Anspruch erhebt Hildegard selbst allerdings nicht. Hertzkas Aussagen stehen auch im
Widerspruch zum Urteil moderner Theologen, denen man eine Zuständigkeit nicht gut absprechen
kann. Sie rechnen das, was uns unter dem Namen Hildegards zu Medizin und Naturwissenschaft
überliefert ist, zur Gruppe der nicht-visionären, also nicht göttlich inspirierten Werke, wie wir es dem
großen Artikel über Hildegard im Dictionnaire de Spiritualité entnehmen können,
der etwa zur selben Zeit (1969) wie Hertzkas Buch erschienen ist. Verfaßt wurde er von Marianna
Schrader, ein Name, der uns mitten in die Geschichte der modernen Erforschung von Hildegards
Wirken führt.
Hildegards Klostergründungen, am Rupertsberg in Bingen und, in Sichtweite an den Hängen am
anderen, nördlichen Ufer des Rheins, in Eibingen, haben die Zeitläufte nicht überdauert. Immerhin
wurde zu Beginn dieses Jahrhunderts oberhalb von Eibingen ein neues Nonnenkloster erbaut, wo man
sich um das Erbe der heiligen Hildegard mindestens seit den dreißiger Jahren (sicher mitveranlaßt durch
die Feier ihres 750. Todestages im Jahre 1929) auch durch wissenschaftliches Forschen bemühte. Die
1956 veröffentlichte Untersuchung Die Echtheit des Schrifttums der heiligen Hildegard von
Bingen, verfaßt von Marianna Schrader in Zusammenarbeit mit ihrer Ordensschwester Adelgundis
Führkötter, stellt vermutlich den bis heute wichtigsten Punkt in der Erforschung von Hildegards Werk
dar.
Wenn Marianna Schraders Ansicht nach Jahrzehnten wissenschaftlicher Beschäftigung mit dem Thema
gegen die Gottfried Hertzkas steht, kann man sie nicht einfach beiseite wischen, denn es geht nicht um
den Gegensatz zwischen einem medizinischen Laien und dem wissenschaftlich ausgebildeten Arzt,
sondern um jenen zwischen der historisch gebildeten Theologin und einem Arzt, der als Beleg für seine
Einschätzung nur auf die vielen Heilerfahrungen, die er gemacht hat, verweisen kann, sich aber, wie bei
der Lektüre seiner Schriften immer von neuem offenbar wird, bei der Beschäftigung mit dem Werk
Hildegards nicht um den Erwerb theologischer oder historischer Kenntnisse glaubte kümmern zu
müssen. Seine Enttäuschung über die offensichtlich schlechten "Erfahrungen ..., die ich [Hertzka]
wegen Hildegard mit meinen lieben Christen gemacht habe," die in der oben bereits zitierten
Einführung anklingt, war sicher kaum zu vermeiden, denn das, was Hertzka mit Erfahrung, Glaube und
Inbrunst für hinreichend begründet hält, liegt auf einer Ebene, von der die Brücke zu wissenschaftlicher
Argumentation kaum geschlagen werden kann. Es kann deshalb auch nicht überraschen, wenn ein
Fachmann auf beiden Gebieten, der der Hildegard-Medizin ganz offensichtlich positiv gegenübersteht,
der Pater Dr. theol. und Dr. med. Alfons Berkmüller, in seiner Arbeit Aspekte der Hildegard-
Medizin zu dieser doch ganz wichtigen Frage: Ist die Hildegard-Medizin göttlich inspiriert?, kein
Wort sagt.
Doch ganz gleich, wie man diese Frage beantworten möchte, stehen dem unmittelbaren Verständnis
von Hildegards Naturkunde und Medizin Schwierigkeiten entgegen, die man nicht einfach übergehen
darf. Viele der bei ihr erwähnten Krankheiten und Leiden können nicht einfach mit heutigen Begriffen
gleichgesetzt werden. Wenn Hildegard z. B. sagt, Nierenschmerzen seien häufig auf Magenschwäche
zurückzuführen, dann wird man fragen dürfen, wie die Pathogenese aussieht, ob die Niere als Organ
schmerzt, oder der Schmerz nur in der Nierengegend lokalisiert ist. Geht es dann um die Behandlung,
stehen wir vor der Frage, ob wir die meist pflanzlichen Heilmittel tatsächlich immer mit der nötigen
Sicherheit identifizieren können, nicht nur, um damit vielleicht ebenfalls einen Versuch zu unternehmen,
sondern auch, um die Gefahr der Selbsttäuschung auszuschließen.
Zur Echtheit der Hildegard-Schriften
Doch ehe wir überhaupt das Buch zur Hand nehmen, sollte die allerwichtigste Frage gestellt werden:
Ist das, was wir vor uns haben, das, was Hildegard schrieb? Die Frage klingt banal, leben wir doch in
einer Zeit, in der mechanische Methoden der Vervielfältigung eine beliebig große Anzahl gleicher
Exemplare einer Schrift erzeugen kann. Für frühere Zeiten gilt umgekehrt, daß die Vervielfältigung
durch den Menschen, durch den Umweg über sein Auge, sein Ohr, seine Hand, dafür sorgt, daß kein
Exemplar völlig dem anderen gleicht. Wenn wir also nicht das Original aus der Hand des Autors
besitzen (im Mittelalter ein äußerst seltener Fall), steht eine Kette der Überlieferung zwischen uns und
dem, was er gewollt hat. Den Menschen des Mittelalters war dieser Umstand vertraut, und deshalb hat
Hildegard sicher nicht nur die sprachliche Redaktion ihrer Schriften, sondern auch ihre Vervielfältigung
sorgsam überwacht bzw. überwachen lassen. Doch während wir viele ihrer Werke mehr oder weniger
in ihre Zeit und zum Scriptorium auf dem Rupertsberg zurückverfolgen können (wo der Sponheimer
Abt Johannes Trithemius [1462-1516] sie Anfang des 16. Jahrhunderts noch gesehen hat und sich
Abschriften herstellen ließ), haben wir gerade bei dem naturkundlichen und medizinischen Schrifttum
Probleme.
Hildegards Biograph Theoderich teilt uns die Titel ihrer Werke nicht mit; "mit prophetischem Geist,"
so schreibt er, habe sie "Ausführungen über die Natur des Menschen und der Elemente sowie der
verschiedenen Geschöpfe gemacht, und wie dem Menschen durch sie zu Hilfe zu kommen sei, und
viele andere Geheimnisse." Schon ob es um ein oder zwei Werke geht, bleibt unsicher; jedenfalls ist ein
Liber simplicis medicine (Buch der einfachen Medizin) und ein Liber composite
medicine (Buch der zusammengesetzten Medizin) schon einige Jahrzehnte nach Hildegards Tod
in den Kanonisationsakten bezeugt, im 15. Jahrhundert dann in zwei Bibliothekskatalogen und bei
Trithemius. Können wir sie mit den (der?) 1533, 1544 und 1855 gedruckten Physica bzw.
den Causae et curae, die zum ersten und einzigen Mal 1903 nach einer einzigen Handschrift
veröffentlicht wurden, gleichsetzen? Das Verzeichnis der medizinischen Bücher der Heidelberger
Universität von 1438 nennt (unter der modernen Nummer 37) eine heute nicht mehr existierende
Handschrift: Item Summa Hildegardis de infirmitatum causis et curis in uno volumine. Cuius
primum folium incipit 'Deus ante creacionem mundi', penultimum vero incipit 'qui et quarta'. Die
Übereinstimmung von Titel und Textanfang mit dem Codex 90b der Neuen königlichen Sammlung in
Kopenhagen, der aus dem Kloster St. Maximin in Trier stammt, weist in diese Richtung, während die
Formulierung in der literaturhistorischen Übersicht des Katalogs der 1372 gegründeten Kartause am
Salvatorberg in Erfurt: Simplicis medicine lib. I. Composite medicine lib. I keine weitere
Klarheit gibt.
Immerhin können wir den Titel Liber simplicis medicine einigermaßen verstehen, denn die
Physica behandeln in 9 Büchern Gebiete der Natur, von den Pflanzen zu den Metallen, ihre
Eigenschaften und medizinischen Anwendungen. Wenn wir den Liber composite medicine
mit den Causae et curae gleichsetzen, haben wir nicht etwa ein Buch vor uns, das Rezepte
mit mehreren Bestandteilen aufführt - sie gibt es in den Physica ebenfalls -, sondern ein jetzt
in 5 Bücher geteiltes Sammelsurium, dessen therapeutische Abschnitte (Buch 3 und 4), wie jüngst
nachgewiesen wurde, großenteils den Physica entnommen sind. Was sich sonst findet, paßt
durchaus zu den Angaben bei Theoderich, springt aber so häufig von einem Thema zu einem anderen,
daß man an eine Sammlung von Auszügen aus einem größeren Werk glaubt. Um eine solche handelt es
sich bei dem von Schipperges entdeckten Berliner Fragment, das sich z. T. mit den Causae et
curae berührt, wo aber ebenfalls die Echtheitsfrage für jede Aussage neu gestellt und beantwortet
werden muß. Insgesamt freilich sollte man die Authentizität der Hildegard zugeschriebenen
naturkundlich-medizinischen Werke nicht in Abrede stellen, denn Hildegards Denkweise und ihr
Sprachstil sind so eigentümlich, daß an der Verknüpfung mit den visionären Werken und den dort
überlieferten Aussagen zu Anthropologie, Natur und Kosmos kein vernünftiger Zweifel bestehen
kann.
(Ein weiterer Beitrag zur Medizin im Werke Hildegards wird folgen.)
Weiterführende Literaturhinweise:
- 1. Zu Leben und Persönlichkeit
- Heinrich Schipperges, Hildegard von Bingen, München 1995 (Beck'sche Reihe. 2008) (zur
Einführung; mit Angaben weiterführender Literatur, leider ohne Berücksichtigung der jetzt
maßgebenden Ausgaben des Corpus Christianorum. Continuatio mediaevalis, wo allerdings die
medizinisch-naturkundlichen Werke noch fehlen; um den Nachdruck der alten Ausgaben hat sich die
Basler Hildegard-Gesellschaft verdient gemacht)
- Lebensbeschreibung: Vita Sanctae Hildegardis, cura et studio Monicae Klaes, Turnholti 1993
(Corpus Christianorum. Continuatio mediaevalis. 126) (mit ausführlicher Einleitung in deutscher
Sprache zu allen Fragen des Lebens der Hl. Hildegard und Literaturverzeichnis)
- 2. Zu den medizinischen Schriften
- Causae et curae, deutsch: Die Reihenfolge der lateinischen Ausgabe von Paul Kaiser wahren die
Übersetzungen von Hugo Schulz (Der Äbtissin Hildegard von Bingen Ursachen und Behandlung der
Krankheiten, zuerst München 1933) und von Manfred Pawlik (Hildegard von Bingen: Heilwissen,
Augsburg 1990, nachgedr. Freiburg i. Br. usw. 1991), während Heinrich Schipperges (Heilkunde
[Causae et curae]. Das Buch von dem Grund und Wesen der der Heilung der Krankheiten, zuerst
Salzburg 1957) den Stoff systematisch anordnet und als einziger, oft unter Zuhilfenahme moderner
Begriffe, erläutert.
- Physica, deutsch: Marie-Luise Portmann, Hl. Hildegard: Heilkraft der Natur »Physica«, Augsburg
1990
- Irmgard Müller, Die pflanzlichen Heilmittel bei Hildegard von Bingen, Salzburg 1982 (mit
Literaturangaben) (Taschenbuch: Freiburg i. Br. 1993)
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. phil. Klaus-Dietrich Fischer, M.A.
Medizinhistorisches Institut der Johannes Gutenberg-Universität
Am Pulverturm 13
55131 Mainz
Aus: Ärzteblatt Rheinland-Pfalz, Ausgabe März 1998, S. 101-104 (Wiedergabe mit freundlicher
Genehmigung des Kirchheim-Verlags)
zu Teil 2: Geschlecht und Charakter