Der Rupertsberg

Kloster Rupertsberg 17. Jhdt.
Kloster Rupertsberg zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges
aus: Rheinhessen in seiner Vergangenheit (Herausgeber G. Behrens), Bd. 5: Alt-Bingen, Teil 2 von J. Como, Schneider, Mainz 1926
Wer auf den Spuren der hl. Hildegard von Bingen wandert, wird die letzten authentischen Reste ihres ersten Klosters auf dem Rupertsberg nur finden, wenn er den Schleier einer doppelten Verfremdung zerreißt. Der Ort ihres Klosters heißt seit dem 19. Jh. Bingerbrück. Und was die Zeit übrig ließ vom Kloster Rupertsberg - fünf Arkaden der Klosterkirche - ist heute ein Teil des Ausstellungshauses der Firma Würth. Diese fünf Arkaden führen den Spurensucher jedoch zurück in das 12. Jh. Zwischen 1147 und 1151 verließ Hildegard den Disibodenberg und gründete über dem Grab des hl. Rupertus ihr erstes Kloster. Ihre Vita erzählt: "Hildegard wurde vom Heiligen Geist jene Stätte gezeigt, wo die Nahe in den Rhein mündet, nämlich der Hügel, der früher vom heiligen Bekenner Rupertus seinen Namen erhielt." Über die Baugeschichte des Klosters Rupertsberg ist wenig bekannt. Aus verstreuten Bemerkungen und bildlichen Darstellungen läßt sich die Klosteranlage annähernd beschreiben. Den Mittelpunkt der Anlage bildete die Klosterkirche, die 1152 durch Erzbischof Heinrich von Mainz konsekriert wurde. Es war eine dreischiffige Kirche, für die man folgende Maße errechnete: 30 m lang, Hauptschiff 7 m breit, Seitenschiffe je 4,35 m breit. Die zur Nahe hin gelegene Schauseite, der Ostchor, besaß eine halbrunde Apsis mit bekrönendem Giebel. Flankiert wurde das Hauptschiff von zwei breiten Türmen. Die Kirche besaß kein Querschiff, die Apsiden der Seitenschiffe waren in den Türmen untergebracht.
Urkunden erwähnen eine gewölbeartige Gruft, den Aufbewahrungsort der Reliquien des Klosterheiligen Rupertus und seiner Mutter Berta. Diese Gruft wurde dann auch Grabstätte der hl. Hildegard. Sie lag wie in allen Kirchen unterhalb des Altarraumes. Ein Stich von Meissner, um 1620 entstanden, zwölf Jahre vor der Zerstörung durch die Schweden, zeigt die Kirche, umgeben von zahlreichen hohen und niedrigen Wohn- und Wirtschaftsgebäuden. Der gesamte Klosterbezirk ist von einer Ringmauer umgeben. Über die Zuordnung der verschiedenen Gebäude läßt sich folgendes ausmachen: Vom südlichen Seitenschiff aus gelangte man über Stufen in den tieferliegenden Kreuzgang. Um den Kreuzgang herum waren die Prälatur, das Konventgebäude, das Dormitorium, das Kapitelhaus und die Klosterschule angeordnet. Südwestlich vom Kreuzgang lag der Friedhof mit der Michaelskapelle. In Urkunden werden im Klosterbezirk noch andere Gebäude erwähnt: das Sommerhaus, das Propsthaus mit dem "Patersgarten", das Gästehaus. Im Klosterbereich lag ebenfalls der Konventgarten, von dem zwei Morgen als Weingarten angelegt waren. Gesindehaus und Wirtschaftsgebäude fehlten ebenfalls nicht. Von den Wirtschaftsgebäuden innerhalb der Klostermauern führte ein Tor nach Weiler, wo sich der Meierhof des Klosters befand. Eingebaut in die Klostermauer, also von beiden Seiten zugänglich, war die Nikolauskapelle, und nahe bei dieser Kapelle lag die Klosterpforte mit der Pförtnerwohnung.
Das Hildegardkloster auf dem Rupertsberg war wohl keine repräsentative Anlage, der eine geschlossene architektonische Idee zugrunde lag. Die Schilderung des Wibert von Gembloux aus dem Jahre 1177 wird der Wirklichkeit sehr nahegekommen sein: "Dieses Kloster ist nicht von einem Kaiser oder Bischof, einem Mächtigen oder Reichen der Erde, sondern von einer armen, zugezogenen, schwachen Frau gegründet worden. Innerhalb kurzer Zeit, seit 27 Jahren hat es sich sowohl dem monastischen Geist als auch dem äußeren Aufbau nach so hoch entwickelt, daß es nicht durch prunkvolle, aber durch stattliche und geräumige Gebäude ... in allem wohl bestellt ist."
Die geistige Ausstrahlung des Rupertsberges erlosch mit dem Tod Hildegards im Jahre 1179. Die Quellen berichten zwar interessante Details über die konfliktreiche Nachbarschaft zwischen Bingen und dem Kloster, über Verfallszeiten und Reformen, aber eine spirituelle Rolle hat das Kloster wohl nie mehr spielen können. Bis zur Zerstörung durch die Schweden im Jahre 1632 war der Rupertsberg wie viele andere Nonnenklöster eine mit benediktinischen Elementen versehene"Versorgungsanstalt" für die Töchter des Adels. Der zerstörte Rupertsberg wurde nie wieder aufgebaut. Er blieb Klostergut der zweiten Gründung Hildegards in Eibingen, wo nach den Wirren des Dreißigjährigen Krieges ein monastischer Neuanfang gesetzt wurde. Die Klosterruine diente fortan als Steinbruch zum Bau von Wirtschaftsgebäuden des Klostergutes, wobei die Kirchenruine mit Apsis, Giebel, Turmstümpfen und Außenmauern bis zum Ende des 18. Jh. romantische Generationen beeindruckte. Nach der Säkularisation kam das Klostergut in private Hände, und die Zerstörung durch Verbauung nahm ihren Fortgang.
Kloster Rupertsberg 19. Jhdt.
Als 1857 für den Bau der Nahetal-Eisenbahn der Felsen gesprengt wurde, auf dem sich die Reste der Türme und des Chores befanden, verschwanden auch die letzten sichtbaren Spuren der Klosteranlage. Dieser Sprengung fiel auch, soweit noch vorhanden, die Grabkrypta unter dem Chorraum zum Opfer. Es blieben nur die Teile der romanischen Kirchenarchitektur erhalten, die in Wohngebäude mit einbezogen waren, eben die fünf Arkadenbögen im heutigen Würthschen Haus. Immer wieder berichten die Quellen vom Neu- oder Umbau der Kelleranlagen. Was davon bis ins 12. Jh. zurückreicht, wird, wenn überhaupt, nur durch gründliche Untersuchungen festzustellen sein. Die von Herrn Würth liebevoll gepflegten und der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Kellergewölbe atmen den Geist der langen und wechselvollen Geschichte dieses authentischen Ortes des Lebens der hl. Hildegard von Bingen

P. Dr. Josef Krasenbrink

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