Die Abteikirche St. Hildegard
Die mächtige Abteikirche ist nach dem Vorbild der alten Basiliken im romanischen Stil
erbaut. An das Presbyterium schließt sich nach Norden hin der Nonnenchor an, in dem
sich die Gemeinschaft der Benediktinerinnen von St. Hildegard siebenmal am Tag zum
Gebet versammelt. Betritt man den Kirchenraum, so umfängt den Besucher eine ruhige
und zur Besinnung einladende Atmosphäre. Der hohe, gleichmäßig und in klaren
Linien gestaltete Raum zieht den Betrachter ebenso in seinen Bann wie die gedämpfte,
stille und geheimnisvoll anmutende Farbigkeit der Wandgemälde. Die Kirche ist ganz
im "Beuroner" Kunststil ausgemalt; diese Arbeit nahm mehrere Jahre (1907-1913) in
Anspruch und stand unter Leitung von P. Paulus Krebs (1849-1935), Beuron, einem
Schüler des berühmten Malermönches P. Desiderius Lenz (1832-1928). Die Eibinger
Klosterkirche gilt als eine der gelungensten Gesamtkompositionen der "Beuroner"
Kunstschule, auch wenn die ursprüngliche Form nicht mehr ganz erhalten ist, da die
Malereien im Nonnenchor und an der ihm gegenüberliegenden südlichen Chorwand in
den sechziger Jahren übertüncht wurden. Die Beuroner Kunst ist liturgische und damit
zugleich benediktinische Kunst. Sie dient der Verherrlichung Gottes und will zur
Anschauung und zur Versenkung in das göttliche Geheimnis einladen.
Das Innere des Kirchenraums wird von der monumentalen Christusfigur in der Apsis
bestimmt. Das auf Goldgrund gearbeitete Gemälde erinnert den Betrachter an ein
byzantinisches Mosaik. Christus erscheint als der Pantokrator, als König und Herrscher
über das All, zugleich aber als Bruder, der jeden Menschen mit offenen Armen
aufnimmt. Das Feld des Chorbogens wird beherrscht durch das Bild der Stadt Gottes
und die Mauern des himmlischen Jerusalem. Die Inschrift deutet auf das Grundthema
der ganzen Kirchenausmalung hin: "Tabernaculum Dei cum hominibus - die Wohnung
Gottes unter den Menschen" An den beiden Seiten des Chorbogens stehen der hl.
Benedikt und seine Schwester, die hl. Scholastica, als die Begründer des
Benediktinerordens.
Die südliche (rechte) Seitenwand zeigt in fünf Bogenfeldern Szenen aus dem Alten
Testament: Die Arche Noah; der Besuch Gottes, d.h. der drei Engel, bei Abraham und
Sarah; der Traum Jakobs von der Himmelsleiter; der Zug der Priester mit der
Bundeslade; der dem "ignoto deo", dem "unbekannten Gott'", geweihte Altar. Die
nördliche (linke) Seitenwand enthält im mittleren Bogenfries ebenfalls fünf Bilder mit
Szenen aus dem Neuen Testament, außer dem ersten, Adam und Eva im Paradies: die
Menschwerdung Christi; das letzte Abendmahl; die Ausgießung des hl.Geistes; die
Gemeinschaft zwischen Christus und seiner Kirche.
Die Malereien in den unteren Bogenfeldern der nördlichen (linken) Seitenwand des
Hauptschiffes sind der hl. Hildegard von Bingen gewidmet. Der fünfteilige Bildzyklus
zeigt wichtige Szenen aus dem Leben Hildegards: "Wie Hildegard zu Jutta auf den
Disibodenberg geht"; "wie Hildegard auf den Rupertsberg bei Bingen zieht"; wie
Hildegard in Ingelheim zu Kaiser Barbarossa spricht"; "wie Hildegard Eibingen gründet
und in Rüdesheim einen blinden Knaben heilt"; "wie beim Tod Hildegards am Himmel
Zeichen geschehen". Auch die Malereien des Seitenschiffs sind Hildegard von Bingen
sowie bedeutenden weiblichen Heiligen des Benediktinerordens gewidmet. Auf der
Ostwand über der Sakristeitür ist Hildegard selbst dargestellt, mit einem Federkiel in
der rechten Hand. Alle Heiligendarstellungen sind nicht realistisch, sondern typisiert
gemalt - zum Zeichen dafür, daß es den Künstlern nicht um Historienmalerei, sondern
um den Sinnbildcharakter und dessen Glaubensaussage ging.
Die Abteikirche St. Hildegard ist alljährlich Ziel vieler Pilgergruppen und Besucher, die
auf den Spuren der großen Heiligen den Weg nach Eibingen finden. Jeder, der kommt,
ist eingeladen, gemeinsam mit den Schwestern das Gotteslob zu feiern.
Sr. Philippa Rath OSB
Wirkungsstätten