Das alte Kloster Eibingen
Detail aus einer Aquatinta, um 1850, nach der Zeichnung von Louis Bleuler
Privatsammlung Dr. Werner Lauter
Hildegard von Bingen gründete zwei Klöster: das Kloster Rupertsberg bei Bingen sowie
das Kloster Eibingen unweit von Rüdesheim. Dort hatte die Adelige Marka von
Rüdesheim 1148 ein Augustiner-Doppelkloster gestiftet, das bereits 1165 verwaist war,
bedingt durch die von Kaiser Barbarossa ausgelösten Kriegswirren. Das Anwachsen
des Rupertsberger Konvents bewog Hildegard, die beschädigten Gebäude 1165 zu
erwerben. Sie ließ sie für 30 Benediktinerinnen herrichten und fuhr selbst zweimal in
der Woche vom Kloster Rupertsberg aus über den Rhein zu ihrer neuen
Klostergemeinschaft. Am 22. April 1219, rund vier Jahrzehnte nach Hildegards Tod,
unterstellte Papst Honorius III. das Kloster Eibingen seinem Schutz. Die
Aufsichtsrechte der Rupertsberger Meisterin hinsichtlich der Zweitgründung regelte
erstmals eine Urkunde vom 28. November 1268.
Laut Verzeichnis der Eibinger Äbtissinnen - zunächst Meisterinnen - trug Benigna von
Algesheim 44 Jahre lang Würde und Bürde des Amtes (1373-1417) - länger noch als
Hildegard selbst. Die Nonnen waren im Kloster Eibingen teilweise bürgerlicher
Herkunft. Im ausgehenden 15. Jh. und im Laufe des folgenden traten häufig - wie z.B.
zwischen Kurmainz und Pfalz - Spannungen auf; diese wirkten sich bis in den
Klosterbereich aus. Unter dem Mainzer Erzbischof Jakob von Liebenstein erfolgte um
1505 die Klosterreform in Eibingen. Doch auch diese vermochte die rückläufige
Entwicklung nicht aufzuhalten. 1575 lebten im Kloster Eibingen nur noch drei
Schwestern, die schließlich auf Anweisung des Erzbischofs Daniel Brendel von
Homburg in die nahegelegene Zisterzienserinnenabtei Marienhausen übersiedelten.
So konnte Eibingen den vor der Welle der Reformation flüchtenden Augustinerinnen
von St. Peter bei Kreuznach viele Jahre eine Bleibe bieten. Nach langwierigen
Unterredungen erreichte Cunigundis Freiin von Dehrn, Äbtissin von Rupertsberg, die
urkundlich verbürgte Rückgabe des Klosters Eibingen und seiner Besitztümer. Seit
1603 ist daher der Titel üblich "Äbtissin von Rupertsberg und Eibingen".
Im Dreißigjährigen Krieg, 1632, zerstörten die Schweden durch Brand das Kloster
Rupertsberg. Die Nonnen kamen mit den Hildegard-Reliquien 1636 über Köln zum
Kloster Eibingen, wo Not und Entbehrung herrschten. Die Plünderung durch Kriegsvolk
gab später Anlaß zur Flucht nach Mainz. Erst Ende 1641 kehrten die Nonnen zurück.
Anna Lerch von Dirmstein, die letzte Äbtissin von Rupertsberg, blieb nur kurze Zeit in
Eibingen; 1642 mußte sie ihr Amt niederlegen. Ein gedeihlicher Zeitabschnitt begann
für das Kloster Eibingen mit der jungen Äbtissin Magdalena Ursula von Sickingen. Das
monastische Leben im Wechsel von Gebet und Arbeit blühte wieder auf. Im Alter von
52 Jahren starb Äbtissin Magdalena im Sommer 1666 an der Pest. Ihr Wappen ziert
noch heute die Türumrandung aus Sandstein im Innenhof der Eibinger Pfarrkirche.
Innerhalb einiger Jahre hatte sich die wirtschaftliche Lage des Klosters Eibingen so
gefestigt, daß sich auch größere Bauvorhaben ausfahren ließen. Die Erneuerung der
wohl ursprünglich quadratischen Klosteranlage verlief in drei Etappen. Betreut von
Architekt Giovanni Angelo Barello wurden von 1681 bis 1683 Kirche und Westflügel
von Grund auf restauriert. Einem 1701 von Papst Clemens XI. ausgestellten Ablaßbrief
zufolge hatte die den Hll. Rupert und Hildegard geweihte Kirche sieben Altäre. In Mainz
wurde 1709 bei Johann Mayren auf Veranlassung des Eibinger Konvents ein
Andachtsbüchlein gedruckt: "Verzeichnuß der fürnehmsten Reliquien ... So in dem
Hoch-Adelichen Jungfrau-Closter Eybingen im Rheingau Ehrerbietlich auffbehalten ...".
Im selben Jahr errichtete man ein Kreuz "Zur Ehr Gottes und für die Abgestorbene[n]",
das jetzt seinen Platz auf dem alten Teil des Friedhofs hat. Der Besuch der
Klosterkirche nahm zwar zu, doch entwickelte sich keine eigenständige Wallfahrt nach
Eibingen. Pilger, die morgens nach Marienthal oder Nothgottes zogen, hielten auf dem
Heimweg hier lediglich Einkehr zu stillem Gebet, vor allem am Fest Mariä Geburt (8.
September).
Am 21. Februar 1737 begann man mit dem Abbruch des Ostflügels. Die Baupläne für
den Neubau hatte der Mainzer Architekt Johann Valentin Thoman entworfen. Die
feierliche Setzung des Grundsteins erfolgte am 21. März, dem Fest des hl. Benedikt.
Bei der Ausführung wurde tragfähiges Gemäuer aus Hildegards Zeit mit einbezogen.
Bis zum 8. November hatten die Zimmerleute das Gebälk aufgeschlagen. Das Dach
konnte im Oktober 1738 mit Schiefer gedeckt werden. Zwischen 1746 und 1752
entstanden der Südflügel sowie Stallungen und Scheune. Das Aussehen des alten
Klosters Eibingen gibt eine von Propst Joseph Otto (1763-1788) angefertigte
Zeichnung wieder.
In der kurzen Spanne der Klosterleitung durch Maria Hildegard von Rodenhausen
(1780-1788) verstärkte sich der Einfluß einer neuen Geistesströmung, der Aufklärung.
Unter Kurfürst Friedrich Karl Joseph von Erthal sollte aus Kloster Eibingen ein
weltliches Damenstift werden. Diese Absicht löste bei den Nonnen heftigen
Widerspruch aus. Vorsorglich brachte man 1789, im Jahr des Ausbruchs der
Französischen Revolution, das Klosterarchiv nach Alzey, wo es bis 1798 verblieb. Der
Verlust der Güter links des Rheines beeinträchtigte jedoch die wirtschaftliche Lage.
Zudem hatte der Zeitgeist das klösterliche Leben ausgehöhlt. 1802 wurde das Kloster
aufgehoben, 1814 auf Beschluß der nassauischen Regierung geräumt. Den Ostflügel
verwandelte die Behörde in ein Zeughaus, die Kirche in ein Waffenlager. Beim Abriß
von West- und Südflügel verlor 1817 der Gebäudekomplex seine quadratische Form.
1831 kaufte die Gemeinde Eibingen das Anwesen. Statt der baufällig gewordenen
Dorfkirche diente nun die ehemalige Klosterkirche als Pfarrkirche. Das Patrozinium der
Dorfkirche, Johannes der Täufer, wurde übernommen. Pfarrer Ludwig Schneider
gelang es 1857, die Echtheit der Hildegard-Reliquien nachzuweisen.
Dr. Werner Lauter
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